Das Oberlandesgericht München hatte sich in der Berufungsinstanz mit der Frage zu befassen, ob für die Zeit des ersten Lockdowns vom 18.03. bis 27.04.2020 die pandemiebedingte Betriebsuntersagung den vertraglichen Mietzahlungsanspruch des Gewerbevermieters beeinflusste und dem Gewerbemieter ein Recht zur Nichtzahlung der vereinbarten Miete verschaffte. In ausführlich begründetem Beschluss legt das Oberlandesgericht Folgendes dar:

Ein Mietmangel sei in der Betriebsuntersagung nicht zu sehen. Voraussetzung dafür wäre der unmittelbare Zusammenhang der Gebrauchsbeschränkung mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts. Dafür gebe es bei einer behördlich angeordneten Schließung im Rahmen einer Allgemeinverfügung keine Anhaltspunkte. Das Verwendungsrisiko trage nach wie vor der Mieter. Da die Allgemeinverfügung für ganz Bayern gegolten habe, spiele auch die Lage des Mietobjekts keine Rolle. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem mietvertraglich vereinbarten Zweck „zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts”. Denn der Umfang der mit der Mietzweckvereinbarung übernommenen Leistungspflicht des Vermieters sei durch Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont aus Sicht eines Mieters zu ermitteln. Danach dürfe ein redlicher Mieter das Leistungsversprechen seines Vermieters im Zweifel nicht dahin verstehen, dieser wolle ihm die vereinbarte Nutzung unter allen erdenklichen Umständen gewährleisten.

Darüber hinaus sei der Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung nicht nach §§ 326 Abs. 1, 275 BGB entfallen. Zwar würden – wenn kein Mietmangel vorliege – die allgemeinen Regeln nicht durch die Mietrechtsbestimmungen verdrängt. Ein Fall der Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB liege aber nicht vor. Das Leistungshindernis, das zur Unmöglichkeit führen solle, müsse gerade die geschuldete Leistung betreffen. Indes begründe der Mietvertrag keine Pflicht des Vermieters, eine pandemiebedingte Öffnungsuntersagung zu verhindern oder zu beseitigen, um dem Mieter den Betrieb des als Mietzweck vereinbarten Geschäftes zu ermöglichen.

Schließlich sei eine Anpassung eines Mietvertrages im Hinblick auf die pandemiebedingten Einschränkungen des Geschäftsbetriebs auf Grundlage des § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich möglich. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH werde die Geschäftsgrundlage durch nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobene, beim Vertragsabschluss aber zutage getretene, dem Geschäftsgegner erkennbare und von ihm nicht beanstandete Vorstellungen des einen Vertragsteils oder durch die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände gebildet. Die Erwartung, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg oder Ähnliches ändern, dass die soziale Existenz nicht erschüttert werde, bildet die “große Geschäftsgrundlage”. Selbige sei durch die Betriebsuntersagung anlässlich der Pandemie betroffen.

Beide Vertragsparteien hätten nach Einschätzung des Senats bei Vertragsschluss die Vorstellung gehabt, dass der vom Mieter beabsichtigte Geschäftsbetrieb, der im Mietvertrag zum Gegenstand des Vertrages geworden sei, generell möglich sei und nicht unabhängig vom Mietobjekt und unabhängig vom Mieter untersagt werde. Dabei werde die Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB auch nicht durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Pandemie (Gesetz vom 27.03.2020) ausgeschlossen. Denn die sich daraus ergebenden Regelungen stellten eine zeitlich begrenzte Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass eine Leistungsunfähigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten den Schuldner auch dann nicht von den Folgen des Ausbleibens der rechtzeitigen Leistung befreie, wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruhten. Nach Auffassung des Senats schließe das vorgenannte Pandemiegesetz die Anwendung der Regelungen des § 313 BGB nicht vollständig aus. Art. 240 EGBGB solle spezifische Probleme einer schnellen vorübergehenden Lösung zuführen und keine abschließende Regelung darstellen. Wenngleich wie bereits vorher ausgeführt eine pandemiebedingte Öffnungsuntersagung einen Mietmangel nicht darstelle, folge daraus aber nicht, dass das Risiko deswegen gesetzlich ausschließlich dem Mieter zugewiesen sei. Dieser trage zwar bezüglich der Mietsache im gewerblichen Mietrecht grundsätzlich das Verwendungsrisiko. Gleichwohl falle nach Auffassung des Senats das Risiko, überhaupt ein Geschäft in der Mietsache mit dem mietvertraglich vereinbarten Mietzweck betreiben zu können, nicht ausschließlich in den Risikobereich des Mieters. Gemeinsame Vorstellung der Mietvertragsparteien bei Vertragsschluss sei es bei objektiver Betrachtung gewesen, dass überhaupt die Öffnung von Ladengeschäften möglich sei. Somit umfasse das vom Mieter zu tragende Verwendungsrisiko nicht auch das Risiko von Änderungen der “großen Geschäftsgrundlage”.

Im vorliegenden Fall hätten sich durch die Pandemie bedingte Betriebsuntersagung Umstände, die zur Grundlage des Mietvertrages geworden waren, schwerwiegend geändert im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB. Die Parteien hätten den Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen, wenn Sie diese Änderung vorausgesehen hätten. Allerdings verweist der Senat darauf, dass nur erhebliche Grundlagenstörungen einen Eingriff in die vertraglichen Vereinbarungen rechtfertigen könnten. Für jeden Vertrag und für jede konkrete Situation müsse gesondert bestimmt werden, ob eine erhebliche Grundlagenstörung vorliege. Das sei durch eine Betriebsuntersagung, die unabhängig vom konkreten Betrieb des Mieters generell den Betrieb eines Geschäfts dieser Art untersage, gegeben. Bei einer Dauer der Schließung von fünf Wochen liege eine schwerwiegende Änderung der Umstände vor. In der Regel rechtfertige ein der Mietsache verbleibender Nutzen in keiner Weise den vereinbarten Mietzins, weil die Räume allenfalls teilweise als Lagerräume zu nutzen seien und in dem Zeitraum der verordneten Schließung ein Umsatz durch den Warenverkauf in den Geschäftsräumen nicht zu erzielen sei.

Indes müsse für die Annahme eines Anpassungsanspruchs das Festhalten an dem Vertrag für eine Seite unzumutbar sein. Alleine der Wegfall der Geschäftsgrundlage führe noch nicht zu einem solchen Anspruch. Es müsse hinzukommen, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne. Es müsse also ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen. Dazu sei eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen seien, anzustellen. Insbesondere seien die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten verschiedenen Maßnahmen zu berücksichtigen, die den Zweck haben, wirtschaftliche Folgen der pandemiebedingten Betriebsschließungen für die Unternehmen abzufedern. Der Gesetzgeber habe Kriterien dafür aufgestellt, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen Hilfsleistungen erhalten könne. Die Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB dürfe nicht dazu führen, solche gesetzgeberischen Wertungen zu umgehen. Die Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB müsse daher auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, bei denen ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde.

Die Betrachtung aller konkreten Umstände des Einzelfalles erfordere insbesondere die Beachtung der wirtschaftlichen Situation des Mieters und auch des Vermieters. Es könne dabei eine Rolle spielen, wie viele Jahre der Mietvertrag schon bestand und wie der Umsatz und Gewinn der letzten Jahre gewesen sei, so dass eine Möglichkeit bestanden habe, Rücklagen zu bilden. Es verbiete sich dabei jede schematische Betrachtungsweise. Im Ergebnis müsste der Gewerbemieter nachvollziehbar vortragen und belegen, dass ein Ausnahmefall vorliege, der es aufgrund seiner besonderen wirtschaftlichen Situation erforderlich mache, trotz eines grundsätzlich vorhandenen Rahmens für Hilfeleistungen im Einzelfall die Miete anzupassen oder zu stunden.

(OLG München vom 17.02.2021, 32 U 6358/20)

Dr. Thomas Gutwin
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht